Prof. Gunther Hirschfelder ist Kulturanthropologe an der Universität Regensburg. Im Interview spricht er u. a. darüber, warum wir dem Alkohol heute kritischer gegenüberstehen als noch vor 20 Jahren.
Alkohol gehörte in Mitteleuropa immer zum Alltag, gerade bei Feiern. Von Kirchweih bis Erntedank war Alkohol ein zentrales Element. Alkohol war aber auch ein Prestigeprodukt, das außerhalb von Feier- und Festtagen lange eher männlichen Funktionsträgern vorbehalten war, die es sich leisten konnten.
Eine Abstinenzbewegung hat sich erst im 19. Jahrhundert entwickelt. Diese Bewegung konnte sich allerdings in den USA leichter durchsetzen als bei uns. Das hat damit zu tun, dass die USA protestantisch-calvinistisch geprägt sind. Der Verzicht gehört hier dazu. Das funktioniert im katholisch geprägten Europa nicht, weil Alkohol Teil der heiligen Messe ist. Deshalb konnte sich hier keine Fundamentalkritik am Alkohol entwickeln.
Eine wichtige Frage ist auch: Wie geht die Medizin damit um? In Europa und gerade in Südeuropa hat die Medizin das Thema Alkohol lange mit einer Art Augenzwinkern betrachtet. Es gab zum Teil eine geradezu laxe Haltung in Sachen Alkoholismus. In den USA dagegen gelten Sie seit den 1960er-Jahre als krank, wenn Sie jeden Tag ein Bier trinken. Das wird in Bayern beispielsweise ganz anders gesehen.
Doch. Es haben sich zwei ganz entscheidende Dinge geändert. Erstens sind wir keine Mangelgesellschaft mehr und haben Zugang zu so viel Alkohol wie nie zuvor. Das zeigen auch die Verbrauchszahlen. Gleichzeitig entwickeln wir in Deutschland eine kritischere Haltung dem Alkohol gegenüber. Wobei das nicht unbedingt mit dem Alkohol an sich zu tun hat.
Unsere Gesellschaft legt heute insgesamt einen neuen Fokus auf Gesundheit und Selbstoptimierung. Bei uns herrscht eine Kultur des Immer-fit-Seins. Dazu gehört auch, auf Alkohol zu verzichten.
Dieses Nicht-Akzeptieren verändert sich gerade. Sehen Sie, die Menschen ordnen sich heute nicht mehr Schichten zu, sondern Szenen und Lebensstilen. Und die definieren sich auch über die Ernährung. Nehmen Sie zum Beispiel den Vegetarismus. Vegetarier zu sein, ist heute nicht mehr ungewöhnlich. Genauso ist es heute anerkannter, auf Alkohol zu verzichten.
Das gibt es nach wie vor, aber es wird weniger. Im beruflichen Umfeld hat Alkohol beispielsweise an Ansehen verloren. Vor zehn, 20 Jahren war es noch gebräuchlich, bei einem geschäftlichen Essen mittags ein Bier zu trinken. Das hat sich geändert. Heute ist es völlig akzeptiert, dort keinen Alkohol zu trinken.
In weiten Teilen der Gesellschaft - ja. Wir haben heute in Teilen der Gesellschaft generell ein großes Misstrauen gegenüber Lebensmitteln und fragen uns, welche Wirkung sie auf uns haben. Aber nachdem wir den ganzen Tag darüber geredet haben, setzen wir uns trotzdem oft genug abends hin und sagen: Jetzt brauche ich erstmal ein Bier.
Es gibt neben der Konzentration auf die Selbstoptimierung noch eine weitere Strömung. Sie nimmt Lebensmittel und Alkohol als Genuss wahr. Hochwertige Produkte zu kaufen und gemeinsam zu essen und zu trinken, wird hier mit Lebensqualität gleichgesetzt. In diesem Rahmen werden bestimmte Dinge aufgewertet und positiv besetzt. Zum Beispiel Spirituosen wie Gin oder auch bestimmte, in kleinen Mengen gebraute Biere, die dazu dienen, einem bestimmten Lebensstil Ausdruck zu verleihen. Alkohol wird hier gezielt eingesetzt, nicht als Droge, sondern als Genussmittel. Allerdings wird in diesem Umfeld nicht über Mengen gesprochen. Es wird irrtümlicherweise automatisch angenommen, dass jemand, der Alkohol genießt, die Menge begrenzt. In diesem Zusammenhang muss man auch sagen, dass es in Deutschland eine erhebliche Schieflage gibt, wenn es um versteckten Alkoholismus geht.
Vom katholischen Grundgedanken her ist die Fastenzeit auch eine Zeit des Verzichts auf Alkohol. Dieser Gedanke ist im späten Mittelalter verloren gegangen. Fasten war seit dem in erster Linie der Verzicht auf Fleisch. Heute wird die Fastenzeit als Zeit der Einkehr betrachtet. Als Zeit, in der man sich Dinge bewusst macht und gezielt auf etwas verzichtet. Das können Fleisch oder Zucker sein, aber auch das Rauchen, der Fernseher oder eben Alkohol. Diese Art des Fastens ist ein relativ neues Phänomen, das es etwa seit den 1990er-Jahren gibt, würde ich schätzen. Geprägt ist es von der Evangelischen Kirche, die auch die Aktion "7 Wochen ohne" ins Leben gerufen hat.
Sie haben sich vorgenommen, während der Fastenzeit auf Alkohol zu verzichten? Dann machen Sie mit bei unserer Fastenaktion! Wir unterstützen Sie mit vielen Informationen, Tipps und Rezepten.